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London, flüssig – Weinkultur auf der Insel

London, flüssig – Weinkultur auf der Insel
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In der britischen Hauptstadt herrscht eine Weinkultur der aussergewöhnlichen Art. Die frühere Begeisterung für Sherry, Port und grosse Franzosen ist einer verblüffenden Offenheit gewichen. Londons Begeisterung für Champagner kleiner Winzer ist ebenso gross wie jene für deutsche Rieslinge. Und viele Weinbars schmücken sich zumindest mit dem einen oder anderen englischen Rebensaft – stets in eigenwilligen Masseinheiten.

Auf einen Blick: Top Ten der Londoner Wine Bars und Wine Restaurants

An die Mengen muss man sich gewöhnen. Schenken deutsche und Schweizer Weinbars gern einen Zehntelliter aus, die Österreicher ein Achtel, schwören die Briten auf ganz andere Einheiten. Das Schaumweinglas wird zwar meist mit 0,125 Litern Champagner, Spumante oder Cava gefüllt, doch weisse und rote Stillweine gibt es traditionell in 0,175-Liter-Portionen, neuerdings auch mal in überschaubareren Mengen zu 0,125 oder 0,075 Litern.

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Englische Sommeliers verwahren sich übrigens heftig gegen den Vorwurf, solche Masse seien nur gemacht, um den Touristen, die mit der Berechnung der Preise pro Liter überfordert sind, das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Offenheit aus Prinzip

Die Begeisterung der Londoner für Weine aus aller Welt verschärft die Sache nur noch, verleiht der Szene etwas Unübersichtliches. Doch genau auf diese Weise lässt sich die Trinkgeschichte der Stadt prima erforschen. Ganz früher waren es Sherry, Madeira und Port, die ausgeschenkt wurden, bald kam Bordeaux in Mode, später die Australier und Südafrikaner.

Letztere spielen in den beiden Outlets von Vivat Bacchus noch eine dominante Rolle, auch weil die Küche (Karoo Lamb!) mehr als nur ein bisschen nach Cape Town ausgerichtet ist.

Bei Harry im The Arches ist sie dagegen eher gen Frankreich orientiert. Unspektakulär, wie die Kneipe von aussen aussieht, geht es auch drinnen weiter: So was könnte, stellt man rasch fest, auch im 12. Arrondissement von Paris stehen, wo ebenfalls kaum Edelfans und Touristen vorbeikommen dürften. Und genau dort würde auch, wie hier, die alljährliche Beaujolais-Nouveau-Feier anberaumt.

Apropos Beaujolais: Das nach dem anderswo aus der Mode gekommenen Ex-Kultwein benannte Etablissement verfügt natürlich über reichlich Bestände an Morgon, Saint-Amour und Brouilly, lässt Paté, Rillettes und Sauerkraut auffahren. Kritiker werfen dem Le Beaujolais zwar vor, dass Preise und Qualität ein bisschen allzu touristisch anmuteten, aber zumindest ein Glas (0,175 Liter, was sonst) Réserve du Patron sollte drin sein.

Historie im Keller

Drin ist auch der Besuch beim Klassiker der Szene. Gordon’s, der 1890 gegründete Veteran, trägt den Ehrentitel der ältesten existierenden Weinbar der Stadt. Tatsächlich wirkt der Laden, ist man die Treppe erst einmal hinabgestiegen und hat sich ans schummrige Ambiente gewöhnt, verdammt historisch. Ob hier schon jemals grundlegend renoviert wurde, bleibt offen, aber es sind zum Glück nicht nur die Touristen, die sich zu Simon Gordon trauen.

An neue Masseinheiten muss man sich hier unten auch gewöhnen: Stille Weine werden zwar in den für London üblichen Portionen ausgeschenkt, für Champagner kalkuliert man dagegen 0,165 Liter, und die gespriteten Weine kommen in 0,12- oder 0,16-Liter-Mengen. Schooner und Beaker heissen die im Gordon’s-Speach und sind erstaunlich günstig kalkuliert; richtig gute Ports und Madeiras, in Deutschland gern zu absurden Preisen verkauft, schlagen hier gerade mal zu fünf oder sechs Pfund pro Glas zu Buche.

Naturweine und andere Trends

Wenn Gordon’s und Le Beaujolais für die Vergangenheit stehen, ist Xavier Roussets Restaurant Texture die Zukunft. Kreative nordische Küche und eine verblüffende Champagnerauswahl.

Wer lieber ins East End stapfen will, kann beim derzeit extrem angesagten Sager & Wilde vorbeischauen. Angesagt sind auch die englischen Weine, ein bisschen zumindest – und nur Ignoranten glauben, dass der bei Orrery zu Hummerravioli ausgeschenkte Nyetimber der einzige trinkbare Inselwein wäre.

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Die Mode der Naturweine ist zwar noch nicht in jenem Masse in London angekommen, wie sie in Paris seit Jahren gefeiert wird, doch Fortschritte gibt es. Eine der spannendsten Weinkarten der Stadt bietet die Compagnie des Vins Surnaturels, in der man in sizilianischem Amphorenwein, Jura-Spezialitäten oder Champagner von Insider-Winzern wie Agrapart schwelgen kann.

Um danach auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen, muss man sich bloss bei Rosita einen der vielen vorhandenen Sherrys einschenken lassen. Ein letzter, genau 75 Zentiliter umfassender Schluck Palo Cortado oder Moscatel Solera: Das muss für den Heimweg reichen.

Auf einen Blick: Top Ten der Londoner Wine Bars und Wine Restaurants

Über den Autor

Wolfgang Faßbender ist seit 25 Jahren als freier Journalist in den Bereichen Wein und Gastronomie tätig. Der gebürtige Leverkusener hat mehr als 80 Bücher geschrieben oder herausgegeben, arbeitet für viele Zeitschriften und mehrere Zeitungen, testet sich als Restaurantkritiker durch die Welt.

Er pendelt zwischen seinen Wohnsitzen im Rheinland und Zürich.

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