Süsswein ist vielfältiger als gedacht. Dank energischer Erzeuger und moderner Technik ist die Welt der flüssigen Desserts bunt wie nie. Weil sich die Existenz vieler Raritäten noch nicht herumgesprochen hat, sind die Preise der spannendsten Köstlichkeiten oft erschwinglich. Es sei denn, man griffe zu Eiswein und Tokayer.
Moselwinzer Ulrich Stein ist jemand, der gern wider den Stachel löckt. Hat der Mann aus Alf, einer kleinen Weinbaugemeinde nahe Zell, jahrelang mit Leidenschaft getan. Wäre doch gelacht, wenn er den Behörden rechtgegeben hätte, die irgendwann beschlossen hatten, den Strohwein zu verbieten. Der war, seit Inkraftsetzung des aktuellen deutschen Weingesetzes mit dem Jahrgang 1971, nicht mehr erlaubt zwischen Mittelrhein und Bodensee. Ganz im Widerspruch zur Tradition, die in Deutschland immer wieder die Trocknung von Trauben auf Stroh oder in kleinen Holzkisten forderte. Strohweine aus den Jahren bis 1970 sind, wenn man nach ihnen sucht, noch immer zu bekommen.
Edelfäule statt Stroh
Dass sie danach in den Orkus der Weingeschichte wanderten, aus politischen Gründen und EU-rechtlichen Erwägungen, nahmen die deutschen Winzer klaglos hin. Fortan kelterten sie süsse Weine, indem sie nur noch auf die im Herbst manchmal einsetzende Edelfäule der Beeren warteten und bei deren Nichteintreten moderne Technik anwendeten. Neuzüchtungen unter den Reben erlaubten nämlich fast immer hohe Mostgewichte, und die sogenannte Sterilfiltration machte ein Stoppen der Gärung möglich. Anders als in früheren Zeiten konnten nun süsse Weine beliebig erzeugt werden. Doch einer spielte nicht mit. Ulrich Stein produzierte zwar auch Auslesen, Beeren- und Trockenbeerenauslesen, dachte aber nicht daran, auf den Strohwein zu verzichten. Schliesslich führt die Trocknung der Trauben auf Strohmatten oder in Holzkisten zu gänzlich anderen Aromen. Es ist nicht jene an Wachs und Blüten erinnernde Aromatik der Auslesen, es ist eine an getrocknete Aprikosen, manchmal auch an frische Datteln, Kräuter oder Schwarztee erinnernde Würze. Ulrich Stein ging vor Gericht, verlor zweimal, gewann schliesslich beim Europäischen Gerichtshof. Seit ein paar Jahren kann man seinen Strohwein nun erneut kaufen – muss allerdings auf den traditionellen Gattungsnamen verzichten, denn den haben sich die Österreicher schützen lassen. Doch Striehween, wie Steins Strohwein im moselfränkischen Dialekt heisst, schmeckt ebenso gut!
Getrocknet oder gemischt
Die Trocknung der Trauben wird auch in anderen Teilen der Welt geschätzt. Auf den liparischen Inseln, wo sie zum berühmten Malvasia veredelt werden, oder in Südafrika. Der dortige Vin de Constance war schon vor Jahrhunderten berühmt und ist es nun wieder; die Trocknung wird in seinem Fall unterstützt, indem die Trauben noch am Rebstock von der Wasserversorgung im wahren Wortsinne abgeschnitten werden. Auch der PX, der äusserst konzentrierte, dunkle, nach Liebstöckel und Rosinen duftende Sherry, verdankt seine Entstehung der Sonne und der natürlichen Konzentration durch Trocknung. Dass diese Spezialität auch aus Montilla-Moriles stammt und, einmal abgefüllt, 100 Jahre und mehr reifen kann, hat sich noch nicht überall herumgesprochen.
Wenn es übrigens keine Trocknung sein soll (oder sein kann!), dann vielleicht die Zugabe von Alkohol zum halbvergorenen Wein oder, noch einfacher, zum Traubenmost. Dessen Süsse wird konserviert, die Sache haltbar. Gibt man Armagnac zum Most, nennt sich das Ergebnis Floc de Gascogne, doch existieren vergleichbare Getränke auch im Cognac-Gebiet (Pineau des Charentes) oder im Jura (Macvin). Gemischt wird, auf andere Weise und ohne destillierten Alkohol, auch in Ungarn. Der normale Most wird mit angetrockneten edelfaulen Beeren aufgepeppt: Der sogenannte Ausbruch gehört zu den spannendsten Süssweinen der Welt – manchmal allerdings auch zu den teuersten.
Eiswein? Aus der Kühltruhe!
Teuer sind freilich auch Eisweine und umso seltener, je stärker der Klimawandel fortschreitet. Nur eine Handvoll Winzer wagte 2017 in Deutschland das Experiment, die Trauben bis zum Eintreten des Frostes hängenzulassen. Auch in den Vorjahren waren die Ausbeuten oft bescheiden. Selten treten die harschen Fröste ein, wenn die im Weinberg baumelnden Beeren noch in gutem Zustand sind. Ja, sagen die Experten für Süsses, die Situation werde nicht besser, Eiswein aus Deutschland zum Auslaufmodell. Da haben es die Winzerkollegen in anderen Ländern einfacher. Sowohl in der Schweiz als in Kanada ist es erlaubt, künstlich nachzuhelfen, Trauben mittels künstlicher Kühlung einzufrieren und durchs anschliessende Pressen einen extrem süssen, konzentrierten Most zu erzeugen. Klar, denn das zu Eis gefrorene Wasser gelangt ja gar nicht erst in den Wein. Dass so was in Deutschland nicht erlaubt ist, kann man durchaus als ungerecht bezeichnen. Aber vielleicht macht sich Moselwinzer Ulrich Stein ja nochmal auf den Weg durch die Instanzen!
Die etwas anderen Süssweine:
Schweizer Wein aus angetrockneten Trauben: Johanniterkeller
Strohwein von der Mosel: Erbhof Stein
Strohwein aus Württemberg: Weingut Kuhnle
Vin de Constance aus Südafrika: Weingut Klein Constantia
PX aus Montilla-Moriles: Bodegas Toro Albalá
Floc de Gascogne: Domaine de la Haille
Tokayer: Demeter Zoltán
Eiswein aus Kanada: Inniskillin